Bestellungen per eMAIL, über AMAZON, Buchhandel oder Verlag.

Die schwarze Ledertasche


zurück zur Auswahl
 
Malorny-Leseproben:

DIE SCHWARZE LEDERTASCHE
Roman

2003, Taschenbuch, 161 Seiten / ISBN 3-933287-54-5 / 15,90 EUR
im Verlag Max-Stirner-Archiv, Leipzig
eMail für Bestellungen: malornys-tasche@web.de oder über AMAZON.

Am 15.09.2003 fand in der Moritzbastei Leipzig
Schwalbennest, 20 Uhr, die erste Buchlesung statt.

Für das Buch wurde eine extra Seite eingerichtet:
www.malornys-tasche.de.vu


HTML: Leseprobe     oder PDF: Leseprobe       Rezension

Klappentext zu "Die schwarze Ledertasche"

30 Jahre nach "Der Mann mit der Ledertasche" von Charles Bukowski legt nun Hartmuth Malorny seinen Debütroman: "Die schwarze Ledertasche" vor. Der Titel ist nur eine von zahlreichen Reminiszenzen Malornys an den Altmeister der U-Literatur und L.A.-Poesie. Z.B. heißt der Hauptprotagonist bei Bukowski Hank Chinaski, bei Malorny Harald Malowsky. Beiden Romanen ist zudem ein hohes Maß an Autobiographischem zu Eigen. Bukowski war 15 Jahre lang Postbote und Postsortierer, Malorny über 12 Jahre Straßenbahnfahrer. In beiden Berufen ist die Ledertasche ein wichtiges Utensil. Außerdem fährt und liebt Malowsky seinen VW-Käfer und eine gewisse Betty, genauso, wie es Chinaski seinerzeit zu tun pflegte. Wer nun meint, er hätte es bei Malorny mit einem der unzähligen untalentierten Nachahmer Bukowskis zu tun: weit gefehlt. Natürlich arbeitet Malorny an seinem Image (das ihm aber recht gut steht!), und er mag ein Epigone Bukowskis sein, aber im ursprünglichen Sinne, ein "Nachgeborener". Ein Seelenverwandter, der in die gleiche Kerbe haut wie Bukowski, aber zu seinem eigenen, unverwechselbaren Stil gefunden hat. In seinen Poems, seinen Stories, sowie in dem vorliegenden Roman beschreibt Malorny in lakonischer Sprache Alltägliches: den Kampf der Geschlechter, Tod und Sterben nebenan, das Leben inmitten von "Schweinediensten" und "Gestrichenen" in seinem Straßenbahnfahrerjob, und, nach Feierabend, mit etwas Glück, zwischen den Schenkeln einer Frau und keinem allzu bösartigen Kater danach. Melancholische Passagen wechseln sich mit äußerst humorvollen ab. Malorny kriegt immer der Kurve, kurz bevor er ins Sentimentale abdriftet (diese Gefahr ist bei unprofessionellen Trinkern und Schriftstellern stets gegeben, Malorny gehört freilich zur entgegengesetzten Kategorie!), reißt er das Steuer herum und zieht sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf. Getreu dem Motto: "Die besten Geschichten schreibt das Leben", präsentiert Malorny auf süffisante Art und Weise Begebenheiten aus dem Straßenbahnfahreralltag, die wirklich nicht erfunden werden können. Er schaut den Leuten aufs Maul und läßt sie so zu Wort kommen, als ob sie neben einem in der Straßenbahn säßen. Letztendlich dreht sich bei Malorny alles darum, einen Weg zu beschreiten, auf dem er zumindest halbwegs anständig durchs Leben gehen kann. Gar nicht so leicht, wenn man all die Kriecher, Petzer, Duckmäuser, geschweige denn Büttel einer willkürlichen Gesellschaft herumkreuchen sieht.

"Die Welt hat es mit Irren, Arbeitstieren, Hektikern und ambitionierten Masochisten zu tun, aber was wirklich zählt, das haben Langschläfer und Nichtstuer wie Sokrates und Epikur zuwege gebracht..." schreibt Malorny, und vielleicht haben Autoren wie er und Bukowski auch ein wenig ihr Scherflein dazu beigetragen.
Thomas Schweisthal

Rezension

Ox Fanzine / www.triggerfish.de

Hartmuth Malorny
DIE SCHWARZE LEDERTASCHE
(Verlag Max-Stirner-Archiv Leipzig, 15,90 Euro)

Wir erinnern uns: Charles Bukowski schrieb einst »Post Office«, in Deutschland als »Der Mann mit der Ledertasche« bekannt - das Buch handelt von Henry Chinaskis Arbeit bei der US-Post. Hartmuth Malorny beschreibt in seinem Roman »Die schwarze Ledertasche« seine Tage als Bahnfahrer bei den Dortmunder Verkehrsbetrieben - sich selbst nennt er Harald Malowski. Coverversion oder Hommage? Beides! Denn Malorny, bislang durch Gedichte, Short-Stories und Kolumnen im Stile Bukowskis aufgefallen, ist säuferseelenverwandt mit seinem Idol. Er ist Einzelgänger, trinkt sich in seiner Wohnung sowie in Kneipen um Kopf und Kragen, macht mit zuweilen üblen Frauen herum und hat die Tretmühle Job satt. Aber anders als viele Bukowski-Imitate ist Malorny zwar so nah dran, wie es die Welt des Ruhrgebietes im Vergleich zu Los Angeles erlaubt, hat aber eben doch seinen eigenen Charme. Und anders als Bukowski, der in »Post Office« seinen Job-Ausstieg und Weg zum Schriftsteller beschreibt, endet Malorny bei einer großen Liebe.

Schattenseite: etwa in der Mitte des Buches hat ein Lektor gefehlt, der auf gut 20 Seiten die Längen hätte herausstreichen müssen. Glanzseite: gut ein Viertel des Buches dreht sich um Malowskis Thailand-Urlaub und ist ein sehr lesenswertes Stück Reiseliteratur, das indes der Welt der Säufer und Nutten treu bleibt, sich aber wohltuend abhebt von der üblichen Boulevard-Scheiße. Tipp! (tbc)

Rezension

Sex, Drugs & eine schwarze Ledertasche
Die neuere deutsche Literatur ertrinkt in einer Memoiren- und Biographienflut.

Zwanzigjährige fühlen sich berufen ihre Lebenserinnerungen zu schreiben, oder ihre verkorkste Jugend in verkorksten Romanen unter die Leute zu bringen. Das ist auch der Grund für die Kurzlebigkeit vieler neu entdeckter literarischer "Größen", zwei, drei gute Romane und man hat der Stoff des eigenen Lebens ist verarbeitet und die Inspiration ist verbraucht.

Eine Ausnahme von dieser Regel wünsche ich mir für Hartmuth Malorny. Sein Debüt "Die schwarze Ledertasche" ist eine Autobiographie ganz anderer Art, als die im Augenblick so gefragten Glamour-Stücke aus der Glitzerperlen-Welt. Es sind die Erinnerungen eines Menschen, den unsere Gesellschaft sicher gerne in die Schublade der "gescheiterten Existenz" packt.

Ein Arbeitsloser, Vorbestrafter erzählt wie er sich bei den Dortmunder Stadtwerken bewirbt und Straßenbahnfahrer wird, während er sich gleichzeitig mit den gängigen Alkoholika eingehender beschäftigt. Ein Leben zwischen den Erpressungen, die eine erfolgssüchtige Zeit denjenigen zumutet, von denen sie glaubt, daß sie sich nicht wehren können, und "künstlichen Paradiesen". Sehr lakonisch und mit viel Distanz beschreibt sich Malorny in dieser Tretmühle selbst. Beim Lesen blieb mir jedoch das Lachen manchmal im Halse stecken, wenn ich mir überlegte, wie elend ein solches Leben ist. Ich kenne einige Menschen, die ihren Alkoholismus ebenfalls nie verheimlicht und sich selbst darin karikiert haben, das kann sehr witzig sein, geht aber meist auf Kosten der Ehrlichkeit. Zwar erwähnt Malorny auch sein Leiden, doch wirkt er dabei auf mich noch distanzierter als er ohnehin schon ist, jeder Quickie wird von ihm ausführlicher beschrieben. Nun hat ja niemand die Pflicht, "ehrliche" Memoiren zu schreiben, im Gegenteil, viele Geschichten werden durch kleine "Beigaben" interessanter, bei Malorny empfinde ich das aber anders. So geht dem Buch eine ganze Dimension verloren, denn ein solches Leben bietet einen Tiefgang durch die permanente Angst vor der totalen Katastrophe, die vielen "normal funktionierenden Zeitgenossen" fremd ist. Seine Sprache und die beschriebene Handlung wirken auf mich besonders stark, wo er versucht, sich in andere hineinzuversetzen und er sie und sich selbst in einem System gegenseitiger Ausbeutung beschreibt, an dem er zwar innerlich nicht teilnimmt, aber in dem er dennoch irgendwie mitspielt. Er schildert ausführlich seinen ersten Urlaub in seiner Straßenbahnerzeit, indem er nach Thailand fliegt, eine Frau kennenlernt und sich in sie verliebt. Eine Liebesgeschichte beginnt und ein taktvolles sich Herantasten an eine fremde Kultur, der er sich mehr und mehr ausliefert. Hier weicht die ironische Distanz zu seinen Mitmenschen auf und der moralische Zeigefinger, mit dem er sonst hin und wieder gerne wackelt, verschwindet in der Tasche. Er macht seinen Mitmenschen nicht mehr ihren Egoismus zum Vorwurf, was für einen, der mit Frauen schläft, die zu betrunken sind, um noch etwas mitzubekommen, nicht ganz glaubwürdig ist. Für jemand, der so vehement den Respekt vor seiner Person einfordert, kann dafür Suff keine Entschuldigung sein, wenn er selbst nicht bereit ist, andere genauso zu respektieren. Die Thailand-Zeit war für mich der Höhepunkt des Buches, hier sieht er die Menschen wie sie sind und nicht bloß wie sie sein sollten. Sein innerlicher Austritt aus der Gesellschaft, in die er sich äußerlich, bis auf sein Trinken einfügt, ermöglicht ihm einen Blick auf den alltäglichen Wahnsinn, den ansonsten kaum jemand wahrnimmt, weil er für die meisten nicht hinterfragte Lebensrealität ist. Das war es, was mir so gut an dem Buch gefallen hat.

Dabei läuft die Handlung sehr gradlinig ab, schlingert immer am Rande des Abgrunds und ermöglicht einen bissig -ironischen Lesegenuß, der einen manchmal auflachen läßt, und der manchmal melancholisch stimmt.
Jan Koch

Rezension

EIN NEUER WALRAFF
Hartmuth Malorny über seine Erfahrungen als Straßenbahnfahrer in Dortmund
Von Sabine Scholz

Die deutsche Erzählliteratur widmet sich viel zu selten dem Thema Arbeitswelt. In dem ersten Roman "Die schwarze Ledertasche" des Dortmunder Autors Hartmuth Malorny (Jahrgang 1959), von dem bisher drei Gedichtbände vorliegen, geschieht es auf direkte und nachvollziehbare Weise. Anhand von locker aneinandergereihten Begebenheiten schildert Malorny, ähnlich wie seinerzeit Günter Wallraff in seinen Industriereportagen, den nervenaufreibenden Alltag eines Straßenbahnfahrers vom Eignungstest, über die Ausbildung bis zu den aberwitzigen Normen des Schichtdienstes. Dabei geht es Malorny nicht nur um bloße Aufdeckung von Missständen und Ausbeutung, sondern diese Arbeitswelt wird vor allem als Möglichkeit der Begegnung mit anderen Menschen gesehen, die oft verzweifelt versuchen, dem Berufsethos gerecht zu werden. Malorny tarnt sich nicht, er schlüpft in keine Rolle und hat sich auch nicht wie Wallraff "eingeschlichen". Wallraff ist nämlich überzeugt, dass man sich verkleiden muss, um die Gesellschaft zu demaskieren. Man muss täuschen, um die Wahrheit herauszufinden. Ganz anders Malorny, mit Ehrlichkeit zeichnet er ein desolates Bild der Dortmunder Trambahnbahnfahrer: "In den nächsten Tagen, Wochen und Monaten ging es Schlag auf Schlag. Der Fahrbetriebswart (FBW) verteilte die Zettel mit den 'Gestrichenen', mit den Überschichten drauf, wie Lotterielose. Wer an seinen freien Tagen einen annehmbaren Dienst als Zusatzleistung bekam, hatte schon halb gewonnen. Hauptsächlich wurden die Neuen mit Zetteln bedacht. Zur Zeit grassierte ein Personalnotstand, der sich trotz der fortwährenden Neueinstellungen lange Jahre nicht legte."
Auch für Malorny gilt, was Heinrich Böll einmal über Wallraff geschrieben hat: "er dringt in die Situation, über die er schreiben möchte, ein, unterwirft sich ihr und teilt seine Erfahrungen und Ermittlungen in einer Sprache mit, die jede Überhöhung vermeidet: "ich pumpte und pumpte, und selbst nach drei, vier Bewegungen spürte ich keine Bremswirkung, und dann richtete ich mich wieder hoch, drehte mich gelassen um und sagte: "Entweder jemand zieht den Notbremshebel, oder wir richten da vorne ein Massaker an.‘ Betty war der Notbremse am nächsten. Sie reagierte sofort. Die Schienenbremse schlug hart auf, Funken sprühten, die Bahn bremste und rutschte, und ca. 50 Meter vor der Kreuzung kam sie zum Stillstand. Währenddessen hielt ich den linken Fuß auf der Klingel. Außer Wiebruch hatten alle einen gehörigen Schreck in den Gliedern. Er lächelte bloß. 'Was hätten Sie denn gemacht ...?' fragte ich ihn nach drei Sekunden. Betty fragte: 'Und wenn die Notbremse nicht funktioniert hätte?'
"Keine Sorge, die Notbremse funktioniert immer", sagte er. Über sein Vorbild Bukowski äußert sich Hartmuth Malorny folgendermaßen: "Als ich den Roman schrieb, befand ich mich auf dem Scheideweg und dachte, der Job sei abgehakt. In Bukowskis 'Der Mann mit der Ledertasche' (1971) geht es um einen Postboten und die Widrigkeiten seines Jobs. Bukowski kündigte seinen Job beim Postamt (13 Jahre) und schrieb seinen ersten Roman. Letztes Jahr hatte ich ebenfalls 13 Jahre Straßenbahnfahrer hinter mir. Ich will mich nicht mit Bukowski vergleichen, aber diese gewisse Parallelität gefiel mir. Deshalb die Ähnlichkeit des Titels."

Malornys Stärke liegt besonders in der Schilderung von Liebes- und Sexszenen, die immer wieder in den Roman eingestreut sind. Eine Episode mit einem Girl aus der Kneipe: "Wir tranken und klammerten uns wie Ertrinkende aneinander, denn wir wussten, dass unsere Zeit abgelaufen war. Wir fickten uns in den Schlaf." Sehr poetisch wird die Liebesgeschichte mit Betty, einer Straßenbahnfahrerin, erzählt, die sich eigentlich über den ganzen Roman hinzieht und ihm Spannung verleiht: "Ich drehte mich um. Sah ihr in die Augen. Sagte ein paar dumme Sätze. Ich streichelte sie und sie streichelte mich. Ich legte mich auf sie und machte es ganz langsam. Wir hatten Zeit. Der Wahnsinn dort draußen blieb vor der Tür. Es war so ziemlich die beste Nummer. Oder die vor ein paar Stunden. Es war eine Nummer voller Magie inmitten der tanzenden Staubpartikel, die wir aufwirbelten. Nun, sie hatte mich flüsternd aufgefordert zu kommen, und so kam ich eben. Mit ihr. Dieser anbrechende Tag konnte nur noch im Unglück enden."

Bolero Men 4, Champions, Herbst 2004

Ein Verlierer gewinnt
Ein bisschen Bukowski, ein bisschen Henry Miller und eine Menge Leben: Mit seinem Underground-Roman "Die schwarze Ledertasche"' schrieb sich der ehemalige Straßenbahnfahrer Hartmuth Malorny aus der Finsternis ans Licht - und schuf ein faszinierendes Stück Asphaltliteratur.

"Mein Leben lang hatte ich das Gefühl, am falschen Ort zu sein", sagt die Stimme. Eine ruhige Stimme, die Pausen vermeidet. Eine, die dabei keineswegs traurig oder selbstmitleidig klingt. Dafür aber nach Einsamkeit. Und einer Menge ungestillter Sehnsucht. "Mit 12 oder 13 fing ich an zu trinken", fährt die Stimme fort. "Anschließend habe ich erfolglos die Schule hinter mich gebracht, und das war ganz einfach. Ich pfiff auf die Vorgaben der Lehrer, fing deren Briefe an meine Eltern ab und fälschte ihre Unterschriften. Und Anfang der 70er Jahre war ich so frei, wie es die 68er werden wollten." Und noch einsamer als zuvor. Das Leben ist auf dieser Stimme herumgetrampelt. Hat sie flach und gleichförmig gemacht: Eltern, die den Mann, dem sie gehört, ihr Desinteresse spüren ließen. Lehrer, die ihn zu züchtigen und verbiegen versuchten - und gegen eine Mauer aus Stolz und Eigensinn liefen. Arbeitgeber, die er wechselte wie andere ihre Hemden. Frauen, die ihm seine Gefühle stahlen. Auf den ersten Blick erinnert Hartmuth Malornys Leben an einen langen, einsamen Flug in den Untergang. Ein Säufer, der seinen Blues in die Schreibmaschine drischt und doch keine Erlösung fühlt. Ein romantischer Spinner, gegen den Sisyphos wie ein Freeclimber wirkt. Doch der Mann hat Biss. Mehr als mancher anderer. Denn Malorny, der "Dortmunder U-Bahn-Bukowski", der Mitte der Neunzigerjahre mit seinen Gedichtbänden "Kronkorken für den Nachlaß" und "Bewegungen im Untergrund" zur Kultfigur der deutschen Social-Beat-Szene avancierte, hat die Risse in seiner Seele mit Sätzen abgedichtet; mit ruppigen, hastig aufs Papier geworfenen Versen, die voller Trotz und Schönheit davon künden, was es heißt, ein kleiner Verlierer zu sein. Und die klingen wie ein fröhliches Halleluja vor dem Absprung ins Nichts, wenn es in dem Gedicht "Feierabend" heißt: "Morgens, wenn ich in die Straßenbahn steige, und an manchen Morgen ist es besonders schlimm, sehne ich mich nach dem Feierabend, der kalten Flasche Bier, nach der Einsamkeit, und wenn ich leicht betrunken auf der Couch einschlafe und träume, ich sei pensioniert, vergesse ich beinahe, nach all dem Bier und der Ruhe, dass dann mein Leben fast vorbei ist."
Jahrelang ist der Mann mit dem schmalen, kantigen Gesicht und den noch immer ein wenig ungläubig in die Welt blickenden Augen durch sein Leben geirrt wie ein Supermarktbesucher, der die Kasse nicht findet. Ein Versprengter in der Tretmühle Leben, der die eigenen Überlebenskämpfe irgendwann zum Rohstoff seiner Bücher macht. Denn nach einer lustlos abgespulten Lehre bei der Deutschen Bahn und zahllosen, sich anschließenden Jobs, in denen er es nie länger als ein paar Monate aushält, fasst er mit nicht mal zwanzig den Entschluss, seinen Lebensunterhalt mit Schreiben zu bestreiten. "Also verbesserte ich mein Arbeitslosengeld mit dem Verfassen von Lesergedichten, 25 oder 50 Mark für ein Gedicht, Kurzgeschichten wurden besser bezahlt, da gab es schon mal Hundert", erinnert sich Malorny. "Dazu studierte ich die einschlägigen Sexmagazine, denn hier war die Sprache bei weitem lockerer, und das machte mir beim Schreiben viel mehr Spaß. Natürlich war ich nirgends angestellt. Ich schrieb es immer als Leserzuschrift, aber ich schrieb das nicht nur zum Spaß, ich wollte Geld dafür."

Und Malorny fasst schnell Fuß als Schreiber für die dritt- und viertklassigen Magazine, die eilig Gereimtes zwischen nacktem Fleisch, Rezepten und Kreuzworträtseln drucken. Und er liest wie besessen, allem voran die grossen Amerikaner und Russen - Hemingway und Faulkner, Dostojewski und Tolstoi, deren Bücher im Innersten von dem erzählen, was Malorny aus der eigenen, täglichen Erfahrung nur allzu gut kennt: dem Ringen mit den inneren Dämonen und dem Kampf um das, was auf dem Standstreifen des Lebens Mangelware ist: Würde, Solidarität und ein kleines bisschen Wärme. So ist es nur noch ein kleiner Schritt für ihn in die deutsche Underground-Szene jener Jahre, in denen Schreiber Jörg Fauser, Daniel Dubbe, Jürgen Ploog oder Carl Weissner in Magazinen wie dem legendären den Ton der Beats wie Kerouac, Burroughs oder Charles Bukowski adaptieren - und die Themen ihrer Zeit kontrovers zu der etablierten Literatur jener Jahre aufspießen und verhandeln: Bindungsangst, unfreiwillige lsolation des Einzelnen aus enttäuschter Liebe, das Diktat der Megamaschine, die das Individuum zum gesichtslosen Roboter mit Seriennummer stempelt. Aus Malornys Feder klingt das dann so: "lch habe mich höllisch verbarrikadiert. Im Flur zwei Tretminen. Am Klingelknopf ist ein Selbstzündungsmechanismus angebracht, der den Träger der Tür gegebenenfalls zum Einsturz bringt. Sicherheitskette, doppelt aretiertes Security-Schloss. Und das nur wegen so ein paar hübscher Geschöpfe mit Titten und Arsch."

Ruhelos kämpft sich der 1959 in Wuppertal geborene Einzelgänger durch die literarischen Instanzen jenes Subbetriebs, der sich auf zumeist alkoholseligen Poetry-Slams selbst feiert und die eigene Marginalität mit wütenden Versen beschreit. Doch irgendwann flüchtet Malorny, der inzwischen als Straßenbahnfahrer bei den Dortmunder Fahrbetrieben angeheuert hat, weil ihn das Verfassen von Schnellgedichten nicht über Wasser hält, vor einer verkrachten Liebesgeschichte nach New York, wo er der Junk-Legende Herbert Huncke einen Besuch im legendären "Chelsea-Hotel" abstattet - und seinem Traum, ein anerkannter Dichter zu sein, für ein paar Stunden näher kommt. Und Malorny, der sich literarisch dort Zuhause fühlt, wo Bukowski einst mit seinen Huren- und Säufergeschichten Neuland betrat - nämlich in den Nischen und verpönten Randzonen der Gesellschaft - macht Ernst und setzt alles auf eine Karte: In nur sechs Wochen stößt er seinen ersten Roman, "Die schwarze Ledertasche" hervor, der mit Witz und Trotz sein eigenes Leben als Straßenbahnfahrer beschreibt.
"Zu Beginn meiner Straßenbahnfahrerkarriere dachte ich, bei dem Job bleibst du nicht lange, vielleicht ein, zwei Jahre, und das erste Jahr war auch ganz o. k.", erinnert er sich. "Im zweiten flog ich nach Thailand und ein halbes Jahr später lernte ich eine Frau kennen, die mich vor den Traualter gezerrt hat, na ja, es war der Strand von Jamaika und der schwarze Reverend wollte nur 50 Dollars."

40 Verlagen bietet Malorny seinen Erstling an - und 40 winken ab. Bis das Buch über Umwege in einem winzigen Leipziger Verlag erscheint - und bald erste wohlwollende Kritiken erhält. Denn ähnlich wie einst Bukowskis Buch "Post Office", das die Gefühle und Seelenzustände seines unvergesslichen Helden Hank Chinaski als Angestellter der US-Post beschreibt, fabuliert Malorny unverstellt und quasi eins zu eins an den Rückseiten seiner Straßenbahnfahrer-Existenz entlang.

"Als das Buch erschien teilte sich das Ganze in zwei Lager: auf der einen Seite waren die, die mich dazu beglückwünschten, auf der anderen Seite meine ehemaligen Kollegen, die mich offen als Verräter beschimpften." Dabei versteht es der sympathische Undergrounder auf überzeugende Weise, das Grau-in-Grau seines unterm Strich 12 Jahre währenden Arbeitsalltags in eine Räuberpistole von bester Bukowski-Manier überzuführen: Sex and Drugs and Rock 'n' Roll liefern den Spirit, aus dem sein Buch gemacht ist. Das Resultat ist eine ebenso wüste wie anrührende Melange aus lichter Verzweiflung, sympathischem Grössenwahn, Loser-Poesie und einem fast sprichwörtlichen sargschwarzen Humor. Denn Malorny outet sich ungeschönt als Trinkertalent von Format, das sich einzelgängerisch von einer katastrophalen Amour zur nächsten säuft und sich obendrein den Straßenbahneralltag um die Ohren haut. Bis Harald Malowsky, Malornys schlitzohriges Alter Ego, die Tretmühle Straßenbahn, die drittklassigen Frauen und das abgestandene Bier satt hat - und an allen Fronten den Dienst quittiert.

Große Literatur bietet Malornys Selbstporträt des saufenden Dichters als ehemaliger Malocher sicher nicht. Wohl aber einen eigenständigen, von Alkoholgeruch durchwehten Entwicklungsroman auf Höhe Bordsteinkante, der anders als all die zahllosen, billigen Bukowski-Doubletten mit ihrem aufgesetzten Aussteigerflair durchaus Authentizität besitzt und eine Hauch dessen verströmt, was am Strand der Städte begraben liegt: derTraum von einem anderen, besseren und womöglich ja auch grandioseren Leben, als es sich etwa in der Enge einer durch verregnete Dortmunder Fußgängerzonen rollenden Straßenbahn abzuspielen pflegt. Zudem vermag es dieser Autodidakt, seinen Lebensstoff ohne jede falsche oder gar sentimentale Überhöhung und so gradlinig wie ein Maurer abzuspulen, der Stein um Stein zu einem stabilen Ganzen zusammenfügt. Lässig setzt Malorny seine lose miteinander verknüpften Episoden vom Saufen, Sex und einem verwegenen Thailand-Trip zum überzeugenden Bild eines Menschen zusammen, dessen Lebensformel von Anfang an lautete: Du hast keine Chance, nutze sie! Von dem Mut, es trotzdem zu versuchen, handelt Hartmuth Malornys Buch.

"Als ich den Roman schrieb, befand ich mich am Scheideweg und dachte, der Job sei abgehakt", erinnert er sich abschließend. "In Bukowskis Roman 'Der Mann mit der Ledertasche' geht es um einen Postboten, der seinen Job nach 13 Jahren kündigte und seinen ersten Roman schreibt. Damals hatte ich ebenfalls 13 Jahre als Straßenbahnfahrer hinter mir. Ich will mich nicht mit Bukowski vergleichen, aber diese Parallele gefiel mir."

Peter Henning
Bolero Men 4,
Champions, Herbst 2004



www.h-malorny.de